Gründerzeit – Exponate der Gründerzeit sammeln
Zeitliche Eingrenzung der Gründerzeit
Gründerzeit wird oftmals gleichgesetzt mit der Gründung des Deutschen Reiches nach dem Krieg gegen Frankreich 1871. Dies stimmt so allerdings nicht. Genau genommen, ist die Gründerzeit im Zusammenhang mit der prosperierenden wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, welche etwa im 2. Drittel des 19. Jahrhunderts begann, zu sehen. Und diese Entwicklung kann nur im Zusammenhang mit der industriellen Revolution gesehen werden. Im produzierenden Sektor konnte ein enormer Rückgang der handwerklich produzierenden Manufakturen festgestellt werden. Vieles wurde mechanisiert, automatisiert, viele Gebrauchsgegenstände wurden, wie zum Beispiel Blechspielzeug oder Möbel, fortan überwiegend industriell hergestellt. Die Bezeichnung Gründerzeit hat also zu tun mit der gehäuften Gründung von neuen Firmen in jener Zeit. Viele Gründer profitierten von der Wohlstandsphase und wurden reich. Nicht wenige der damaligen Firmen sind auch heute noch am Markt und prägen unsere Alltagskultur. Die Gründerzeit erstreckte sich etwa, genau lässt sich dies festlegen, dafür sind auch die lokalen Unterschiede zu groß, über die beiden letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Der absolute Höhepunkt der Gründerzeit waren die Jahre nach der Reichsneugründung nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich. Die schwer lastenden Reparationszahlungen Frankreichs, 5 Milliarden Goldfranc, an das Deutsche Reich äußerten sich im Protz und Prunk der gründerzeitlichen Straßen der Großstädte. Selbst die sogenannte Gründerkrise 1873 sowie die nachfolgenden Rezessionsjahre konnten den Boom der Gründerjahre nicht brechen.
Die Gründerzeit – Eine prunkvolle Inszenierung
Es liegt wohl in der Natur des Menschen, dass man seinen Wohlstand auch nach außen zeigen möchte. Die Architektur gibt hierfür jede Gelegenheit. So war es auch damals. Die alten Stile der Renaissance, des Barock, des Rokoko, des Klassizismus, alle diese Stilarten, die im Zusammenhang mit höfischer Kultur, mit Adel, mit Repräsentation zu tun hatten, sie fanden nun den Gefallen des neuen Geldadels, sie sollten seinen Wohlstand nach außen repräsentieren. Das industrielle Bürgertum orientierte seinen repräsentativen und aufwendigen Lebensstil an dem Adel, welcher die alte Elite darstellte. Die neuen Villen der Fabrikanten wurden nicht mehr auf dem Fabrikgelände errichtet, sondern erschienen als Landsitze außerhalb der Stadt. Vorbei die Zeit des Biedermeier; mit diesem als kleinbürgerlich empfundenen Stil, der ja noch bis etwa 1830 prägte, konnte sich das neue Großbürgertum nicht identifizieren.
Die Gründerzeit fand in der Architektur und in den Einrichtungsgegenständen ganz verstärkt ihren Einzug. Die historischen Formen äußerten sich nach außen am stärksten wahrnehmend über die Architektur und die Innenausstattung, vornehmlich den Möbeln. Die vielfache Gliederung der Möbel wurde durch Verwendung von Lisenen, Verkröpfungen, Karyatiden, Schnitzereien, kannelierten Säulen oder Hermen erreicht. Es war kein Zufall, dass sich die Gründerzeit durchaus mit der Phase des Historismus deckte. Der Historismus, also das Zugreifen auf die historischen Stile, ergriff auch das Kunsthandwerk. Der Historismus trat als Neubarock, altdeutscher Stil und Neorenaissance auf und konnte sich lange gegen den Jugendstil behaupten. Das neue Selbstbewusstsein wurde durch wuchtige Möbel, schwere Samtdecken, dunkle Vertäfelungen und Petroleumlampen mit aufwendigen Ornamenten ausgedrückt. Der wirtschaftliche Aufschwung und der damit einhergehende Wohlstand lösten ein gesteigertes Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Rang auch in der breiten Bevölkerung aus. Das deutsche Nationalbewusstsein wuchs nach der Gründung des Reiches und die beachtlichen wirtschaftlichen Gewinne prägten auch die bürgerliche Wohnkultur. Dies zeigte sich unter anderem in der Wohnkultur und Mode. Dieser Repräsentationsstil fand sich in vielen Bevölkerungskreisen jener Zeit. In späteren Jahren wurde ihnen jedoch der Vorwurf einer unverhältnismäßigen Protzigkeit gemacht.
Gründerzeit – kaum eine Epoche fand mehr Kritiker. Die Gründerzeit musste sich dem Vorwurf der Protzigkeit gefallen lassen. Doch gerade dieser Kritikpunkt ist auch ihre Stärke. Aufwendige Ornamente ließen ganze Wohnblöcke erstrahlen, welche noch heute bei vielen Menschen sehr beliebt sind. Beispiele finden sich am Prenzlauer Berg in Berlin und in München mit dem Justizpalast sowie dem Rathaus. Auch Einrichtungsgegenstände dieser Zeit erfreuen sich einer großen Beliebtheit. Geschickt werden sie mit neuen Stilrichtungen kombiniert und erstrahlen so in einem vorher unbekannten Licht. Die Anzahl an Sammlern ist ebenfalls groß, da die Gründerzeit über ihren ganz eigenen Charme verfügt. Er versetzt den Betrachter in vergangene Zeiten und lässt ihn von Glanz und Gloria träumen. Kaum vorstellbar, dass noch in den 60er Jahren und 70er Jahren gründerzeitliche Gegenstände auf dem Sperrmüll landeten.
Wie ein eigenwilliges Museum – Makarts Atelier
Der österreichische Dekorationskünstler und Maler Hans Makart prägte innerhalb des Gründerzeitstils den sogenannten Makartstil. Die Gesellschaft des Wiener Großbürgertums fand gefallen an seinen Wohnräumen, die durch Plüsch, großen Pomp, Vertäfelungen, schwere Wandbehänge und immense Kronleuchter gekennzeichnet waren. Auch der Makartstrauß wurde bekannt. Mit diesem war ein Gebilde aus Palmwedeln, Gräsern, Binsen und getrockneten Blumen gemeint. Berühmt wurde auch sein Atelier in Wien in der Gusshausstraße 25, welches diverse Waffen, schwere Möbel, Tierskelette, Mumien und Teppiche enthielt. In den 1870er-Jahren fanden dort legendäre Feste statt, zu denen viele prominente Gäste erschienen. Heute existieren leider nur noch Bilder des Ateliers. Es ist im Jahr 1916 abgerissen worden. Sicherlich wäre es sonst noch heute ein eigenwilliges Museum für antiquarische Schätze. Immerhin konnten Bürger es im Jahr 1886 gegen einen Eintrittspreis besichtigen. Berichten zufolge schwärmten sie von dem opulenten Mix an Einrichtungsgegenständen aus aller Welt. Sie sahen in diesen scheinbar zufällig zusammengeworfenen Prachtstücken einen künstlerischen Einklang. Makart selbst starb bereits im Jahr 1884. Mit seinem Tod wurde Kritik an seinem Dekorationsstil laut.
Eine Kombination aus verschiedenen Stilelementen
Makarts Atelier demonstrierte anschaulich den Hang, viele historische Stile miteinander zu kombinieren. Bevorzugter Stil wurde schließlich die Renaissance. Sie bot die Möglichkeit einer traditionsbehafteten Identifikation. Im Rahmen der Deutschen Kunst- und Industrieausstellung im Jahr 1876 in München hatte sie ihren Durchbruch. Im Mobiliar konnte eine Rückkehr zu architektonisch aufgebauten Truhen, Schränken und Buffets erkannt werden. Ihre Fassade war stark durch eine plastische Untergliederung hervorgehoben. Als Schmuckelemente wurden Baluster, kannelierte Pilaster, Säulen, Zierknäufe, Giebelbekrönungen, geschnitzte Grotesken und abschließende Balustraden verwendet. Das Buffet, auf dem viel Ziergerät Platz fand, wurde eine besondere Beachtung geschenkt. Es galt als Hauptausstattungsstück eines Ess- oder Wohnzimmers. Auch dem Vertiko kam eine große Bedeutung zu. In ihm verbargen sich meist Kostbarkeiten. Gelegentlich war in dem etagenartigen Aufsatz ein Spiegel integriert. Hinsichtlich der Materialwahl wurde für das Mobiliar bevorzugt Eiche oder Nussbaum verwendet.
Kitsch und Porzellan
Ein weiteres Charakteristikum dieser Zeit war das sogenannte Vertikoporzellan. Aus ihm wurden kleine Figuren gefertigt, welche zumeist auf einem Bord über dem Sofa Platz fanden. Die Figürchen aus Porzellan wurden insbesondere in böhmischen und thüringischen Porzellanmanufakturen gefertigt. Sie waren im Speziellen bei dem Kleinbürgertum beliebt. Häufig präsentierten sich diese Figuren als Soldaten, Engel, Heilige oder Reifrockdamen. Heute werden sie meist als Kitsch bezeichnet, haben jedoch einen großen Kreis an Liebhabern. Der Begriff Kitsch stammt übrigens ebenfalls aus der Gründerzeit.
Beim Tafelgeschirr und beim Zierporzellan zeigte sich der Wunsch des Bürgertums nach der höfischen Eleganz des Rokoko. Im Unterschied zu den Originalen waren die Farben in der Neurenaissance jedoch kräftiger. Auch die Vergoldung war üppiger, sodass die Stücke gelegentlich überladen wirkten. Ferner kam es zu Nachahmungen von Steinzeugkrügen, welche ursprünglich dem 16. Jahrhundert zuzuordnen waren. Besonders schöne Stücke sind von Villeroy & Boch im Jahr 1880 entstanden. Das Unternehmen brachte Bierseideln mit Bemalungen oder einem Relief auf den Markt und traf so den Geschmack der Bevölkerung an altdeutscher Keramik.
Ein Prosit der Gründerzeit
Sicherlich hat der berühmte Konzern Villeroy & Boch auch Gläser im Stil der Neurenaissance entworfen, doch andere Unternehmen brachten in diesem Bereich bedeutendere Werke heraus. Dazu gehörten die Firma Lobmeyer aus Wien, die böhmischen Glashütten und die Rheinische Glashütten AG, welche ihren Sitz in Köln-Ehrenfeld hatte. Mit Emaille bemalte Humpen, Römer, Stangengläser und Reichsadlergläser erinnerten eindrucksvoll an das 16. und 17. Jahrhundert. Viele von ihnen hatten Inschriften, die von Prunk und Ehre zeugten. Ganz bewusst ahmten die Künstler das grünstichige und unreine Waldglas aus längst vergangenen Zeiten nach. Es war kein Versuch zu fälschen. Vielmehr sollte eine exakte Imitation erschaffen werden, um die Bewunderung gegenüber den Vorbildern auszudrücken. Dies zählt auch für die reinen Formgläser. Dies waren meistens Römer mit gekerbten Nuppen, Spiralfäden oder Ringen. Ein weiterer Kaufanreiz waren sicherlich ihre Namen wie Holbein, Fugger und Kriemhilde-Römer. Auch in der Goldschmiedekunst wurden prunkvolle Humpen geschaffen. Besonders bekannt in diesem Zusammenhang ist ein Münzhumpen aus Silber, welche Ende des 19. Jahrhunderts vom Berliner Hofjuwelier Johann Wagner & Sohn kreiert worden ist. Dieser Humpen diente dem deutschen Kaiserhaus als Geschenk an den königlichen preußischen Staatsminister Graf von Bismarck. Das Besondere an diesem Humpen ist nicht nur seine kunsthandwerkliche Schönheit. Ferner war er ein sehr individuelles Geschenk. An Gefäßrand und Henkel zeigt er die Miniaturorden, die Bismarck verliehen worden sind.
Meisterwerke vom Goldschmied
Goldschmiede hatten in der Renaissance viel zu tun. Viele Städte wollten ihre Rathäuser mit repräsentativem Ratssilber ausstatten, weshalb Goldschmiede viele Aufträge erhielten. Einer der bedeutsamsten Aufträge zu der Gründerzeit betraf ein Tafelaufsatz, welchen 65 badische Städte ihrem Erbgroßherzog Friedrich zur Vermählung überreichen wollten. Der Auftrag wurde zwischen den Jahren 1885 und 1888 ausgeführt. Es war ein Zentralbau mit den Allegorien von Landwirtschaft, Jagd und Schifffahrt. Begleitet wurde er von Figuren, welche die Hauptstädte des Landes darstellten. Hinsichtlich der Ornamentik folgt dieses Meisterwerk dem Vorbild der Hochrenaissance, was an den Greifen, Masken und Gehängen deutlich wird. Gelegentlich wurden auch neubarocke Formen aufgenommen, welche als altdeutsch angesehen worden sind.
Im Unterschied dazu wurde das Gebrauchssilber gern in Formen des Rokoko gefertigt. Dies umfasste nicht nur Geschirre, sondern auch Obstmesserständer, silberne Zahnstocher und Limonadenpressen. Eindrucksvolle Beispiele dafür finden sich bei dem Traditionsunternehmen WMF.
Das Ende und die Wiederentdeckung des einstigen Prunks
Auch nach der Jahrhundertwende blieb die Neurenaissance in vielen Haushalten der prägende Stil. Doch es wurden auch Gegenstimmen laut, welche das Ende der Stilrichtung ankündigten. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass der Stil letztendlich überwunden worden ist. Mit Abwendung von der Gründerzeit wurde auch einem gesellschaftlichen Gefühl Ausdruck verliehen. Dieses strebte nach etwas Neuem und wollte nicht mehr Elemente längst vergangener Zeiten sehen. Insbesondere in Künstlerkreisen wurde der Stil der Gründerzeit als unerträglich empfunden. Sie wollten Gegenstände nicht möglichst pompös sehen. Funktionalität sollte stattdessen im Mittelpunkt stehen. Und so entstand in England die berühmte Reformbewegung „arts and crafts“, welche ihren Schwerpunkt in einer hochwertigen Qualität sah. In den USA hingegen wurde eine nüchterne Büroeinrichtung populär. Dieser Stil ist als funktionalistisch bezeichnet worden. Ein Blick nach Japan offerierte den deutschen Künstlern ein Extrem. Die Räume sollten dort möglichst leer sein. Beeinflusst von diesen verschiedenen Stilrichtungen wurde in Deutschland der Druck auf den Gründerzeitstil immer größer. Kunstschulen nahmen die Anregungen von anderen Ländern als Orientierungshilfe. Vor allem das Design aus Japan gefiel sowie die Formen, welche sich an die Natur anlehnten. Dies harmonierte hervorragend mit der neuen Lebensphilosophie, dem Sinn für Natur und die Einheit von Geist und Körper. Diese Reformbewegungen in der angewandten Kunst mündeten schließlich in die neue Kunst bzw. „Art nouveau“. Jahre später wurde sie auch Jugendstil in Deutschland genannt. Seit einiger Zeit gibt es wieder viele Anhänger jener prunkvollen Epoche der Gründerzeit. Heutzutage werden in den Wohnzimmern die opulenten Möbelstücke als begehrte Antiquitäten gern im Rahmen eines minimalistischen Einrichtungsstils kombiniert. In guten Museen kann man sich hautnah über den Stil der Gründerzeit und des Historismus informieren. Die Nachfrage nach Wohnraum in Gründerzeitbauten ist ungebrochen hoch.