Reiseprospekte und Reiseführer sammeln
Zu keiner Zeit war Reisen so einfach wie heute. Reisen ist ein wichtiger Bestandteil des Lebensalltags geworden. Aus den Anfängen hat sich mittlerweile eine regelrechte Reiseindustrie entwickelt. Auch wenn das Reisen heutzutage weitaus einfacher und bequemlicher ist als im Mittelalter oder noch zu Zeiten Goethes, -ich denke hier an seine berühmten Reisen nach Italien-, eines benötigte alle diese Reisenden zu den verschiedensten Zeiten: Informationen. Erst solche Informationen ermöglichten es, eine Reise vorzubereiten und die einzelnen Ziele zu planen. Zu diesen Informationen gehörten natürlich alle möglichen meist papierenen Hinweise, Broschüren und so weiter, die ich einmal unter den Sammelbegriff „Reiseprospekte“ subsummieren möchte. Diese Reiseprospekte sind mittlerweile ein wichtiges Standbein der Reiseindustrie, egal ob diese im Bereich Hotelgewerbe, Mobilität, Tankstellen, Eisenbahn oder Ähnliches tätig ist.
Auch wenn Reiseprospekte und andere Informationen zunehmend der Wegwerfmentalität unserer modernen Konsumgesellschaft unterliegen, so haben sich doch einige solcher papierenen Ratschläge erhalten.
Reiseprospekte wecken die Lust an der Fremde
Vielen wird es wie mir ergehen, wenn ihnen eine alte bunte Landkarte oder ein alter Kartenatlas in die Hände fällt: Wir fangen an zu stöbern, es kommen alte Erinnerungen auf und wir vertiefen uns immer mehr, während unsere Gedanken die Welt und Zeit um uns herum vergessen lassen. Das hatte natürlich auch viel mit Neugier zu tun, Neugier auf ferne Länder, auf andersartige Landschaften, auf völlige andere Städte. Nichts anderes, denke ich, hatte die ersten Abenteurer und Entdecker getrieben, bei einigen natürlich auch gepaart mit der Erwartung von Schätzen und Reichtümern.
Bei alledem kostet und kostete Reisen viel Geld und verblieb viele Jahrzehnte nur dem Adel und später dem gehobenen Bürgertum. Daneben waren es Reisende in Sachen Handel, Reisende aus dem Sektor der bildenden Kunst, denen es allesamt eher um die eigene, aber auch gesellschaftliche Weiterbildung oder Neuerkenntnisse ging. In unserer modernen Zeit hängt Reisen eher mit Ferien oder Urlaub zusammen. Urlaub, um eine Auszeit, eine Erholung von der täglichen Arbeit zu bekommen. Die Vorfreude darauf wecken Reiseprospekte.
Urlaub kann sich heute fast jeder leisten. Gerade in Deutschland als Land der Reise-Weltmeister gilt der Ruf der Ferne, der Ruf der Fremde. Auf der anderen Seite können nun allerdings auch jene Urlaubsorte aufgesucht werden, die vormals lediglich dem Adel vorbehalten waren. Es waren Orte, welche man lediglich aus Zeitschriften oder der Werbung kannte. Orte wie zum Beispiel die luxuriösen Bäder wie Marienbad, die Adriabäder wie Rimini, die Mittelmeerbäder wie Nizza und überhaupt Kur- und Badeorte.
Prospekte und Führer aller Art
Die Urlaubsorte lockten schon bald mit ihrer Infrastruktur, mit Hotels, Ferienwohnungen, Pensionen und Freizeitmöglichkeiten, welche in Reiseprospekten, Reiseführern, Zeitschriften und anderen Informationsmedien beworben wurden. In den Reiseprospekten der Gemeinden wurden und werden wenigstens ein Ortsplan sowie natur- und freizeitgebundene Anziehungspunkte dargestellt. Meistens gesellte sich noch eine Darstellung des Wanderwegenetzes sowie eine Übersicht der Lage der Ortschaft in der Landschaft dazu. Panoramakarten, wie wir sie wunderbar aus der Alpenlandschaft kennen, verdeutlichten und animierten gleichzeitig, weckten Wünsche! Die Beherbergungsbetriebe konkurrierten oftmals mit Hausprospekten. Nicht selten gehörten Aufkleber fürs Auto oder den mitgebrachten Koffer oder Nippes jeglicher Art zur dargebotenen Werbeamplitude. Typischer Nippes waren zum Beispiel extra für den Fremdenverkehr produzierte billige Schwarzwalduhren. Den Gästen, so wurde suggeriert, sollte es an Nichts fehlen; so wurde auch damit geworben, dass die aus Deutschland gewohnte Tageszeitung oder die Zeitung mit den vier Buchstaben selbstverständlich in der Unterkunft vorgehalten wurde. Beim Blättern der Zeitschrift „Jugend“ fiel mir übrigens auf, dass auf einer Seite für Anzeigen verschiedene Hotels von italienischen Seebädern damit warben, dass ihr Haus selbstverständlich die Zeitschrift „Jugend“ führte. Diese Art der Bewerbung war also schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu Zeiten des Jugendstils gang und gäbe.
In den 50er und 60er Jahren war es übrigens schick, viele der unterwegs auf Reisen gesammelten Billetts, Aufkleber, Reiseprospekte, Führern von Unterkünften wie Hotels oder Campingplätzen oder auch Informationen über die verschiedenen Reisestopps und Reiseetappen zusammen mit den mit der gerade erst erworbenen Kodak-Instamatic geschossenen Fotos im Fotoalbum zu verewigen.
Die Wege zum Ziel der Wünsche
Ein sehr gut ausgebautes Verkehrswegenetz wie heute war in früheren Zeiten nicht zu erwarten. Wenn ich an die 60er Jahre zurückdenke, gab es einige wenige lediglich vierspurige Autobahnen, welche die alte Bundesrepublik durchschnitten und Norden und Süden sowie den Westen und West-Berlin miteinander verbanden. Auf diesen Autobahnen, deren Baubeginn im Jahre 1934 datierte, konnte man noch recht flüssig aufgrund fehlender Fahrkonkurrenten sein Ziel erreichen. Ich kann mich an einen Samstag anfang der 70er Jahre erinnern, als ich von Nordhessen aus zurück in meinen Studienort Frankfurt fahren wollte. Es war Nebel und ich startete trotzdem in meinem alten VW-Käfer. Nachdem ich nach über zweieinhalb Stunden in Frankfurt ankam, konnte ich meinen Mitstudenten in meiner Wohngemeinschaft erzählen, dass mich während der ganzen Zeit lediglich 2 Autos überholt hatten. Andere Verkehrsteilnehmer hatte ich nicht zu Gesicht bekommen! Man vergleiche dies mit heutigen Zeiten!
Aber rund um das Thema Autobahnen und die Ortschaften und Landschaften, welche an den neu geschaffenen Schnellstraßen lagen, orientierte sich sehr schnell eine neue Touristikbranche. Viele Reiseprospekte bewarben sehr bald die Sehenswertigkeiten links und rechts der Autobahnen.
Die ersten komfortablen Reisemöglichkeiten waren wohl die mit der Kutsche. Schon früh erweiterte die Schifffahrt die Reisemöglichkeiten; im 19.Jahrhundert kamen während der Gründerzeit dann noch die Autos und vor allem die Eisenbahnen hinzu. Die Luftfahrt begann in Deutschland im Jahre 1909 mit den berühmten Zeppelinen. Ende der 30er Jahre rückte dann mit Öffnen des Brenner-Passes das ewige Sehnsuchtsland der Deutschen, Italien, ein ganzes Stück näher.
Reiseprospekte als Reporter der Zeit
Allein die Grafik von Reiseprospekten und ihren verschiedenen Begleitern war uns Sammlern schnell ans Herz gewachsen. Die Unterschiedlichkeit des Grafikstils gehört zu diesen spannenden Momenten, die ein Sammler braucht und die ihn ja letzten Endes dazu anhalten, sich gerade diesem Sammelgebiet zu widmen. Der Stil reicht von den beschwingten mutigen Darstellungen der 20er und 30er Jahre über den düster-monumentalen Stil der Vorkriegs- und Kriegszeiten, den bunten fast kitschigen, aber so sentimentalen Darstellungen der 50er und 60er Jahre bis hin zu den Computer animierten der heutigen Zeit.
Neben den so unterschiedlichen Darstellungen sind es dazu natürlich die Informationen aus den verschiedenen Zeitepochen, die uns derweilen tief in solche Reiseprospekte eintauchen lassen. Manch Einem ist nur die heutige grenzfreie Zeit bewusst, dazu noch mit einer zumindest in Europa fast einheitlichen Währung. Fast ist vergessen, dass es lange Jahrzehnte ganz anders aussah.
Selbst eine Reise ins benachbarte Ausland erforderte Visum, Carnet oder Triptyk, Begriffe, an die sich kaum noch ein Mensch erinnert. Zu verzollende Gegenstände, zumeist Spirituosen und Zigaretten, waren anzugeben. Viele erinnern sich noch an die Angst beim Grenzübertritt, die Angst vor Entdeckung der einen Stange Zigaretten, die zu viel war und welche man gut im Auto versteckt hatte. Da es noch keine einheitliche Währung gab, gab es natürlich auch unterschiedliche Preise. Um beispielsweise zu hohen Benzinpreisen im Ausland entgegenzusteuern, versorgte man sich vor Reiseantritt mit Benzingutscheinen. Ich kenne diese von Italienfahrten. Überhaupt war lange Zeit überhaupt nicht an entspannte Familienreisen zu denken. Kaum einer erinnert sich noch an die Stellung der Frau, die noch nach dem Krieg völlig unselbständig war, ohne eigenen Pass lediglich im Familienpass eingetragen war, ohne Erlaubnis des Mannes nicht arbeiten durfte, noch bis in die 60er/70er Jahre kein eigenes Konto eröffnen durfte und natürlich auch nicht geschäftsfähig war. Das Reisen war für eine alleinstehende Frau eigentlich gar nicht möglich! Es waren die großen Emanzipations- und Friedensbewegungen der Nachkriegszeit wie 68er-Bewegung, Frauenemanzipation, Lösung des Ost-West-Konfliktes, Entspannung und Aufeinander zugehen der europäischen Nationen, die letztendlich diese Gegebenheiten aufgelöst haben. Ich denke, daran sollte man, bei aller Kritik, auch einmal denken. Mit all diesen gesellschaftlichen Zuständen im Hinterkopf, ergeben sich beim Vertiefen in alte Reiseprospekte und Reiseführer ganz plötzlich völlig neue spannende Perspektiven und Einsichten.